In der Zinsfalle
Wer vor einigen Jahren von einer Tiefzinsphase gesprochen hat, ist in der Zwischenzeit eines Besseren belehrt worden. Seit die Zentralbanken im Herbst 2008 aus Angst vor einem Kollaps des Finanzsystems den Geldhahn aufdrehten, haben sich die Zinsen mit wenigen Ausnahmen nur noch in eine Richtung bewegt. Von dieser Entwicklung profitiert, wer Schulden hat, primär also Regierungen oder Hausbesitzer. In derselben Zeitperiode hat sich die Staatsverschuldung der Industrieländer von 80 auf über 100 Prozent des Bruttohandelsprodukts erhöht; eine Erhöhung der Zinsbelastung würde bei vielen Staaten die Verschuldungsspirale beschleunigen und die Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit provozieren. Bei höheren Zinsen würde zudem die Gefahr einer Hypothekar- und Immobilienkrise heraufbeschworen mit dem bekannten Folgen für das Bankensystem.
Nicht zu vergessen sind die ausserbörslich emittierten Zinsswaps im Wert von 20 000 Milliarden Dollar, welche bei einer Zinserhöhung massive Vermögensverschiebungen zwischen den Banken mit kaum abschätzbaren Gegenparteirisiken auslösen würden. Keine Regierung, keine Zentralbank und keine Aufsichtsbehörde sucht dieses Risiko. Man wird deshalb alles daransetzen, die Zinsen auf dem heutigen Niveau beizubehalten. Um dies zu erreichen, drängt man die institutionellen Anleger wie Pensionskassen oder Versicherungen durch ein Netz regulatorischer Vorschriften förmlich zum Kauf von Staatsanleihen, welche bar jeder Erfahrungen als sichere Anlagen anerkannt werden.
Selbst wenn man die Inflationserwartungen ausser Acht lässt, ist dieses Zinsumfeld alarmierend. Eine Kapitalverzinsung von null bedeutet, dass der Aufbau des Kapitalstocks nicht entschädigt wird und damit unterbleibt. Die Leute ziehen es vor, Geld auszugeben, anstatt zu investieren, denn Verzicht wird ja nicht honoriert.
Dies kann sich nur eine Gesellschaft leisten, die keine Zukunft hat oder der zukünftige Generationen egal sind.
Das kann zwar für einzelne überalterte Volkswirtschaften zutreffen, aber nicht für die Nationen insgesamt. Ein Zins von null bedeutet ein sozialökonomisches 'no future' und entspricht einem gesellschaftlichen Verständnis, welches das Gegenwärtige überhöht und überbewertet. Dass unter diesen Voraussetzungen ein kapitalgedecktes Vorsorgesystem versagt, ist nicht erstaunlich.
Es bleibt die Hoffnung auf das Gnadenbrot und die Vernunft der nächsten Generation.
Quelle: Sonntags-Zeitung, 16.12.12 Kolumne von Heinz Zimmermann, der Professor an der Universität Basel ist